Heute will ich zu Papier bringen, was meine Gedanken veranlasst hat, dass ich mich nicht bedauern will, noch weniger mir Vorwürfe machen will, dass ich so manches getan habe. Zunächst will ich nicht anfangen, mich zu bedauern, dass es mir mit meinen über achtzig Jahren gesundheitlich nicht besser geht und ich nicht mehr so gut sehen, hören, gehen, arbeiten kann, ebenso wenig, dass ich nicht so sprachbegabt bin wie andere, denen Sprachen scheinbar einfacher zufallen, die sie fehlerlos, sie sogar bewundernswert sprechen und schreiben können, denen sprachliche Formfehler schon beim Hören auffallen, oder Form- und Tippfehler beim einmaligen Lesen verbessern können. Ich will weiterhin dankbar sagen, wenn ich gefragt werde, wie es mir geht: “Gut genug für einen alten Mann.” Ich will auch in Zukunft mich dankbar freuen, wie ich das immer getan habe, dass der Herr auch mir nach 1 K 12, 10 nicht gerade charismatisches Zungenreden geschenkt hat, aber einige Sprachen hat lernen lassen, die ich zunächst für mein Studium und vor allem dann für meinen Dienst als Missionar nötig hatte, diese Sprachkenntnisse in dem Maße geschenkt hat, dass ich zwar nicht fehlerlos, aber verständlich darin predigen, unterrichten, lehren und manches übersetzen und schreiben konnte und noch kann.
Aus Vater Wilhelms Erinnerungen
Antwort
Ich will es nicht einmal in Frage stellen und deshalb auch nicht anfangen, mir oder anderen, oder sogar Gott Vorwürfe zu machen, dass ich mir neben der mir zugewiesenen Arbeit in “alten” Gemeinden und am Seminar nicht mehr und fleißiger Möglichkeiten gesucht habe für direkte Missionsarbeit unter Heiden oder für Einsätze, die mehr und schneller Christen gelockt hätten, ihre Missionskollekten zu erhöhen.
Ich hörte schon im Studium, dass ich nicht ausgesandt werden soll, wie mein Vater eine neue Missionsstation aufzubauen. Mein Vater hätte sich wohl gewünscht, wenn ich seine Arbeit im Süden Swazilands hätte ausbauen sollen. Das hat dann Erwin Dammann einige Jahre später von Itshe Lejuba aus gemacht, als z. B. in seiner Zeit eine Kirche in Nhlangano gekauft wurde und noch später, als Aaron Ntuli als Evangelist dort eingesetzt wurde, bis er zur Ordination nach Pella versetzt wurde, und die Pastoren Moses und John Khumalo und Missionar Alfred Prange in Nhlangano/Swaziland stationiert wurden.
Ich wurde Nachfolger von Missionar Ernst Wilhelm Henning in Roodepoort, der schon einige Jahre länger auf seine Emeritierung wartete, damit die Arbeit auf dem Goldfeld möglichst schnell tatkräftig durch den Einsatz von Missionar Friedrich Dierks in Angriff genommen werden konnte. Ich hatte während eines Semesterferienaufenthalt zu Hause Missionar Henning besucht. Er wollte mit mir am Sonnabend Dierksens damals noch in Botshabelo besuchen. Das war dann nicht möglich, weil ein Roodepoorter junger Mann, der bei einem Trinkgelage erstochen wurde, beerdigt wurde. Außerdem erfuhr ich in den Tagen schon so manches, was ich später als Roodepoorter Missionar selber erfahren habe. Ich taufte in den fünf Jahren über sechhundert Kinder und konfirmierte über vierhundert. Von den Täuflingen waren etwa die Hälfte vor- oder unehelich. Von meinen Konfirmanden besuchte ich dann einen an einem Weihnachtstag im Gefängnis, weil er betrunken am Heilig Abend einen erstochen hatte, und einen anderen mit seinen Eltern zweimal im Gefängnis in Witbank, wo er auch wegen eines Mordes seine Strafe absitzen, bzw. abarbeiten musste. Er erlernte ein Handwerk im Gefängnis und wurde wegen guten Betragens frühzeitig entlassen. Der erste wurde nur leicht bestraft und kam bald nach Hause. Beide sind dann öffentlich im Beichtgottesdienst absolviert worden, der eine in Roodepoort und der andere von seinem Pastor in Magokgwane. Ich hätte sie auch im Gefängnis absolviert, denn sie bedauerten ihre Tat, aber sie wollten zu Hause absolviert werden.
Ich sagte deshalb am Kirchenvorstehertag, der jährlich am Geburtstag von Louis Harms in Bleckmar stattfand, im Jahr 1958 kurz vor meiner Abreise in einem Grußwort, dass ich die Arbeit in Roodepoort gern übernehmen werde. Mission gilt nicht nur Heiden, sondern hat ihre Aufgabe auch in “alten” Gemeinden. Sünder ob getauft oder ungetauft haben die Predigt von Gesetz und Evangelium und den Ruf zur oder zurück zur Taufe und die Einladung zum Sakrament des Leibes und Blutes des Herrn nötig. Das galt damals, als ich in eine alte Gemeinde geschickt wurde, und gilt heute wie eh und je auch im neuen Südafrika, solange der Mangel an Arbeitern bleibt und es entsprechend zu wenig Arbeiter aus dem Zulu- und dem Tswanavolk aufgrund von Math. 9 gibt. Wie sollte ich es bedauern, dass ich auch im Ruhestand in Afrika lebe. Dankbar will ich dafür bleiben, vor allem auch, dass mich mein Schwiegersohn vor einiger Zeit gebeten hat, mit den Farmarbeitern morgens an jedem Arbeitstag, also von Montag bis Freitag, eine Andacht zu halten.
Auch als kein Geld zur Verfügung stand für die Arbeit, die wir als junge Missionare 1963 gemeinsam angefangen hatten, sorgte der Herr, dass Glaubensbrüder aus Amerika seit der Mitte der neunziger Jahre das Fotokopieren und den Versandt der sonntäglichen Predigten unterstützten und nun auch schon fürs nächste Jahr versprochen haben. Es wäre ein Unrecht, wenn ich anfangen würde, mich zu bedauern, oder mir Vorwürfe zu machen, dass ich in Südafrika geblieben bin. Gerade auch jetzt nicht, wo wieder ein Nachbar mit seiner Frau offenbar von seinen eigenen Arbeitern ermordert wurde. Am Morgen drauf war in der Morgenandacht gerade der Abschnitt aus der Verteidigungsrede des Stefanus über Mose an der Reihe, dass ich an seinem Beispiel, der als er beweisen wollte mit dem Mord am Ägypter, dass er sein Volk befreien wollte, vom Herrn 40 Jahre in die Wüste geschickt wurde, es zu lernen, dass wir dem Herrn die Rache überlassen sollen und uns nicht selber rächen dürfen. Durch die Plagen und den Untergang der Ägypter im roten Meer hat der Herr es bestätigt, dass er das Strafen viel gründlicher macht, als es Rebellen je selber machen können. Wo die mit Waffengewalt und viel Blutvergießen ans Ruder gekommen sind, haben sie, so viel ich bis jetzt erlebt habe, keinen Frieden gebracht, was m. E. auch das neue Südafrika bestätigt mit aller Kriminalität und Arbeitsunruhe trotz Friedens- und Versöhnungskommission. Der Herr erbarme sich auch in Zukunft über Afrika! Ich nehme an, dass es noch im Missionshaus an der Wand steht: Vergesst Afrika nicht! Es hat Mission nötig, wie eh und je, und zwar schrift- und bekenntnisgebundene Mission. Bei jeder Morgenandacht beten wir, dass der Herr Arbeiter in seine Ernte senden und für ihre schrift- und bekenntnisgemäße Ausbildung und ihre zeitgemäße Versorgung sorgen möge.